Wären wir alleine unterwegs gewesen, hätten wir den Campus Vivant’e in Tabant wohl kaum gefunden. Im Tal der Glücklichen liegt diese besondere Bildungsstätte. Eine marokkanische Schule mit Permakulturprojekt in einer abgelegenen Ecke des Atlas Gebirges hat uns nicht nur deshalb beeindruckt, weil sie auch hörbehinderte Schüler aufnimmt. Doch am besten zeigen wir euch dieses außergewöhnliche Schulprojekt einfach, los geht’s.
Tabant, ein kleines Dorf im Ait Bouguemez
Wer die Ecole Vivant’e in Tabant besuchen will, der kann sich auf eine Anfahrt mit atemberaubenden Ausblicken freuen. Das kleine Dorf liegt mitten im Tal der Glücklichen, wie Ait Bouguemez genannt wird. Wer den Blick schweifen lässt, sieht rundherum eine beeindruckende Gebirgswelt und Häuser wie aus einer anderen Zeit.
Doch heute geht es mal nicht um die landschaftlichen Reize, sondern darum, was dieses Schulprojekt im Vergleich zu einer klassischen marokkanischen Schule so besonders macht.
Campus Vivant’e in Tabant
Auf 1800 m Höhe liegt der Campus Vivant’e, eine ganzheitliche Bildungsstätte, die mithilfe von weltweiten Spenden und Unterstützern den Kindern hier eine qualitativ hochwertige Bildung ermöglicht. Auch hörbehinderte Kinder werden seit 2015 in den Schulalltag integriert.
Aktuell besteht das Campusgelände aus folgenden Bereichen:
- École Vivant’e
- Collége Vivant’e
- Académie Vivant’e
Hier werden sehr moderne Lehrmethoden angewandt, was bei uns wohl am ehesten mit einer Waldorfschule zu vergleichen wäre. Dabei wird auch auf die Besonderheiten eingegangen, die so ein Leben in dieser Region mit sich bringt.
Das gesamte Schulgelände wird nach den Prinzipien der Permakultur bewirtschaftet.
Ecole Vivant’e
Die Gründung der neuartigen Schule geht auf Haddou Mouzoun und Stefanie Tapal-Mouzoun zurück. Der Marokkaner, welcher in Tabant geboren und aufgewachsen ist, und die Süddeutsche hatten schon früh den Wunsch nach einer Bildungsstätte im Tal, die den Bedürfnissen der Kinder gerecht wird. So gründeten sie die Ecole Vivant’e im Jahr 2010. Als 6-jährige Grundschule mit vorbereitender Vorschule ist sie der Beginn einer Bildungsreise für die Kinder des Tals.
Sogar einen Fußball- und Sportplatz hat es direkt am Campus.
Nach und nach wurde die Grundschule um das College und ab Sommer 2019 um die Akademie (Berufsbildung) erweitert.
Permakulturprojekt
Wie etwas oben bereits erwähnt ist der gesamte Campus ebenfalls ein großes Permakulturprojekt, d. h. in verschiedenen kleinen Kreisläufen führt am Ende alles wieder zusammen und wird weiter verwendet. Joana und Lukas aus der Schweiz sind in den Wintermonaten für ein paar Wochen hier und arbeiten an diesem Projekt, welches von Lukas geplant wurde.
Er ist es auch, der uns eine tolle Führung durch die Schule und sein Herzensprojekt gibt. Alles zu erläutern, würde den Rahmen des Beitrags sprengen, aber wir wollen ein paar kleine Punkte rauspicken, die uns ganz besonders beeindruckt haben:
Zuständigkeit für einen kleinen Garten
Besonders toll fanden wir, dass die Kinder schon früh selbst für einen kleinen Garten und später dann für “schwierigere” Anbauprojekte zuständig sind. Sie kümmern sich selbst um das Einbringen von Humus, Anpflanzen, usw. Und wie wir sehen konnten, hatten besonders die Kleinsten da auch riesigen Spaß dran. So lernen die Kinder schon früh, mit der Natur zu leben und nicht gegen sie.
Eine selbst bemalte Markierung zeigt an, welchem Kind welcher Garten gehört.
Mülltrennung und Toilettensystem
Wichtig und hier gut gelöst ist der Umgang mit Müll. Die Kinder lernen von klein auf, wie man mit Müll umgeht, dass man ihn beispielsweise trennt, usw. Außerdem setzt man hier auf Trockentoiletten. Die Hinterlassenschaften werden dann durch die Kompostierung im Endeffekt als Humus oder Erde wieder genutzt.
Hühnerhaltung
Auch Hühner werden am Campus gehalten. Die Kinder lernen dadurch, dass die Exkremente als Dünger dienen können und gleichzeitig, wie man mit Tieren umgeht. Auch wenn das Schließen der Stalltür nicht immer so gelingen mag. Dafür gibt es jetzt einen Schließmechanismus “marokkanischer Art”.
Bepflanzung des Geländes
Oberhalb der Schule, am Hang des Berges, haben Joana und Lukas etliche Bäume gepflanzt. Außerdem wurde das Gelände eingezäunt, damit die Schäfer ihre Tiere dort nicht mehr weiden lassen können, da diese sehr einseitig ihre Lieblingspflanzen essen und nur ein paar wenige andere stehen lassen. Den Unterschied kann man nach schon einem Jahr deutlich sehen oder?
Die gepflanzten Bäume dienen zur Befestigung des Hangs, an dem bei starken Regenfällen das Wasser talwärts stürzt. Angelegte Gräben sollen dies nun verlangsamen und das Wasser in die richtigen Bahnen lenken.
Ich könnte noch ewig so weitermachen, aber das würde tatsächlich zu weit führen. Allerdings möchte ich noch ein paar Bilder sprechen lassen (ein Klick auf die Bilder öffnet sie in voller Größe).
Doch wo wir nun so begeistert von der Leistung dieser Privatschule sind, wie sieht es denn eigentlich in einer staatlichen Schule in Marokko aus? Wo sind da die Unterschiede?
Staatliche Schulen
Im Vergleich zu den Privatschulen stehen natürlich die Staatlichen. Hier wäre ein Unterrichten hörbehinderter Kinder schlicht und ergreifend nicht möglich. In einem abgelegenen Ort wie Tabant wäre das für diese Kleinen natürlich eine Katastrophe, da sie so gar keine Chance auf Schulbildung hätten.
Ein weiterer gravierender Unterschied ist die Klassengröße, die bei einer staatlichen Schule durchaus mal 50 Kinder umfassen kann. Bei der Ecole Vivant’e hingegen werden lediglich 10 – 15 Kinder pro Lehrperson betreut. Dass dort eine individuellere Förderung möglich ist, muss sicherlich nicht extra erwähnt werden.
Disziplinarmaßnahmen, bei denen man in unserer Heimat mittlerweile schlucken muss, sind in den staatlichen Schulen Marokkos noch an der Tagesordnung. Hier wird nach wie vor mit Stock und Lineal zur Ordnung gerufen.
Privatschule muss man sich leisten können, oder?
Anhand dieser Fakten wird wie wir finden deutlich, wie wichtig eine Alternative zu diesem Schulsystem ist. Doch worin liegt das größte Problem bei Privatschulen? Genau, es ist etwas Elitäres, was Geld kostet. Nur reiche bzw. wohlhabendere Familien können es sich normalerweise leisten, ihre Kinder auf solche Schulen zu schicken, was ziemlich ungerecht ist oder?
Die Ecole Vivant’e ist auch eine Privatschule, die mit Schulgeld bezahlt werden muss. Allerdings richtet sich die Höhe nach dem Einkommen der Eltern. Und wer finanziell nichts aufbringen kann, bringt sich anderweitig ein, indem beispielsweise das Brot für das Mittagessen der Kinder gebacken wird.
Campus Vivant’e besuchen und unterstützen
Wer jetzt den Drang verspürt dieses tolle Bildungsprojekt besuchen oder auch einfach nur finanziell unterstützen zu wollen, der sollte am besten mal einen Blick auf die Homepage werfen. Dort gibt es auch wesentlich detailliertere Informationen zum gesamten Schulprojekt.
Wenn du die Schule direkt vor Ort besuchen willst, dann bedenke bitte, dass die Anfahrt nichts für ein normales Wohnmobil ist. Nähere Informationen für einen Besuch vor Ort findest du in unserem Reisebericht.